Pascal Emmenegger, welche Technologien stecken hinter modernen Ampeln?
"An Lichtsignalanlagen (LSA), wie Ampeln im Fachjargon genannt werden, kommen verschiedene Technologien zum Einsatz. Für die Bevorzugung des öffentlichen Verkehrs setzen wir an den kantonalen Anlagen das System SESAM-Dialog ein. Damit melden sich entsprechend ausgerüstete Fahrzeuge bei der Ampel an und werden priorisiert.
Die Fahrzeuge senden ein Funktelegramm über einen Sender. Innerhalb von Sekundenbruchteilen wird die Anmeldung registriert.
Notfallfahrzeuge von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten haben höchste Priorität, dann folgen Linienbusse. Unterhaltsfahrzeuge nutzen das System primär für die Öffnung von Barrieren und Toren, werden an Kreuzungen aber nicht bevorzugt."
Reagieren die Ampeln auf das aktuelle Verkehrsaufkommen?
"Ja. Im Ausland gibt es nach wie vor viele Lichtsignalanlagen, die mit einer Festzeitsteuerung arbeiten – sie folgen einem starren, fix vorgegebenen Ablauf. Zwar verhindern sie Kollisionen zwischen sich kreuzenden Verkehrsströmen, berücksichtigen aber nicht das aktuelle Verkehrsaufkommen. Der Ablauf ist klar definiert: Zuerst Grün für einen Knotenarm, dann für den nächsten – unabhängig davon, wie viel Verkehr gerade ansteht.
Die meisten Anlagen in der Schweiz sind etwas flexibler. Die Lichtsignalanlagen im Kanton Luzern sind «vollverkehrsabhängig» – wie der Begriff schon sagt, richten sich die Grünphasen nach dem aktuellen Verkehrsaufkommen.
Sensoren erfassen die Fahrzeuge aus allen Richtungen – dabei können verschiedene Technologien zum Einsatz kommen. Die Steuerung verarbeitet diese Daten dynamisch und steuert die Signale innerhalb der technischen und betrieblichen Vorgaben bestmöglich an.
Auch vernetzte Daten kommen dabei zum Zug:
Bei nahe aufeinanderfolgenden Ampeln kann das System – je nach Verkehrslage – in den koordinierten Betrieb wechseln und die bekannte grüne Welle schalten."
Spielt künstliche Intelligenz bei der Ampelsteuerung eine Rolle – oder ist das noch Zukunftsmusik?
"Bei unseren Anlagen spielt künstliche Intelligenz noch keine grosse Rolle. Die Konfiguration der Steuergeräte basiert auf dem Know-how von Verkehrsingenieur:innen – und das funktioniert sehr gut. Angesichts der Komplexität des Verkehrssystems wird das wohl auch noch eine Weile so bleiben.
Auch wenn heute teilweise von «selbststeuernden» Ampeln die Rede ist, steckt dahinter immer noch viel menschliche Arbeit. Ingenieur:innen füttern die Steuergeräte mit knotenspezifischen Daten und Regeln, nach welchen sich die Selbststeuerung zu richten hat. Mit künstlicher Intelligenz hat auch das eigentlich nicht viel zu tun.
In den Anfängen steckt hingegen das sogenannte Car-to-X:
Fahrzeuge, die untereinander oder direkt mit der Verkehrsinfrastruktur – etwa mit Ampeln – kommunizieren. Hier wird sich in Zukunft sicher noch einiges entwickeln. Ob und wie stark KI dabei eine Rolle spielen wird, wird sich zeigen."
Wie schnell kann ein solches System an einem neuen Standort eingeführt werden?
Was braucht es alles dafür?
"Beim Ersatz bestehender Anlagen dauert ein Projekt insgesamt rund ein Dreivierteljahr. Der eigentliche Austausch inklusive Probebetrieb und Optimierungen nimmt davon etwa vier Monate in Anspruch - sowohl bei konventionellen als auch bei selbstgesteuerten Anlagen.
Sofern von Grund auf eine neue Lichtsignalanlage gebaut wird, so kann das je nach notwendiger Landerwerbs-, Planungs-, Bewilligungs- und Bauprozessen mehrere Jahre in Anspruch nehmen."
Gibt es Herausforderungen oder Grenzen bei der Nutzung selbstgesteuerter Ampeln?
"Ja, Grenzen gibt es immer. Selbstgesteuerte Ampeln sind eine vergleichsweise junge Technologie.
Die Geometrie einer Kreuzung setzt natürliche Grenzen:
Ein Knoten mit nur einer Spur pro Richtung kann auch mit der besten Selbststeuerung vermutlich nicht dieselbe Kapazität aufweisen wie ein Knoten mit mehreren Spuren pro Richtung.
Hinzu kommt, dass die heutigen sogenannten vollverkehrsabhängigen Systeme bereits sehr präzise konfiguriert werden können. Selbststeuerungen ermöglichen zwar stellenweise flexiblere Eingriffe und kleinere Optimierungen. Wunder darf man davon aber nicht erwarten. Am Ende muss der Nutzen solcher Anpassungen immer in einem sinnvollen Verhältnis zum Aufwand stehen."
Wie wirken sich diese Systeme auf den gesamten Verkehrsfluss aus?
"Lichtsignalanlagen regulieren den Verkehrsfluss. Entscheidend ist ein möglichst gutes Gleichgewicht zu finden, damit der Verkehr zuverlässig fliesst. Mit Lichtsignalanlagen können zusätzlich Busse beschleunigt werden. Das kann helfen, die Busse zuverlässiger von Haltestelle zu Haltestelle zu bringen. Aber auch hier ist entscheidend, dass die Auswirkungen auf die anderen Verkehrsteilnehmenden nicht ausser Acht gelassen werden."
Gibt es bereits erste Erfahrungen oder Messwerte aus Luzern, die den Erfolg der Selbststeuerungstechnik belegen?
"Ja. Vor rund zwei Jahren wurde die kantonale Lichtsignalanlage am Schlossberg von der Stadt Luzern auf Selbststeuerung umgestellt. Messungen zeigen, dass der öffentliche Verkehr dadurch seine Reisezeitverluste im niedrigen einstelligen Prozentbereich verringern konnte. Allerdings hatte dies zur Folge, dass der Individualverkehr zeit- und stellenweise etwas länger warten musste. Letztlich profitieren aber alle von einem insgesamt flüssigeren Verkehr.
Seit diesem Sommer ist auch die Anlage am Pilatusplatz entsprechend ausgerüstet. Die Erfolgskontrolle läuft derzeit noch."
Wie sieht die Zukunft der Verkehrssteuerung im öffentlichen Nahverkehr aus? Wird diese Technologie weiterentwickelt?
"Vielleicht fahren Fahrzeuge in ferner Zukunft völlig autonom und brauchen weder Ampeln noch spezielle Bevorzugungen für den öV. Kurz- und mittelfristig stossen technische Steuerungen jedoch an ihre Grenzen. Um dem wachsenden Verkehrs- und Bevölkerungsaufkommen gerecht zu werden, braucht es weiterhin auch bauliche Massnahmen, welche die Strassenkapazität erhöhen, oder politische Anreize, die den Individualverkehr insgesamt reduzieren.
Grundsätzlich wird die Verkehrssteuerung der Zukunft ähnlich aussehen wie heute. Neue Technologien wie künstliche Intelligenz oder selbststeuernde Ampeln können zwar punktuell zusätzliche Kapazitäten freimachen – eine grundlegende Wende bringen sie aber vermutlich nicht.
Sicher ist: Die eingesetzten Technologien werden sich laufend weiterentwickeln und immer wieder durch neue Systeme abgelöst."